WIRD UNSER ESSEN GEFäHRLICHER? WARUM DIE ZAHL DER LEBENSMITTEL-RüCKRUFE STEIGT
Salmonellen im Joghurt, Glassplitter in der Tomatensoße oder Plastik im Schinken: Immer häufiger rufen Unternehmen Lebensmittel zurück. Ist Einkaufen riskanter geworden? Und was bedeutet die Entwicklung für Verbraucher?
Meist befinden sich die Aushänge an der Kasse des Supermarktes: Lebensmittelrückruf wegen Salmonellen-Verdacht, eine der häufigsten Ursachen für Warnungen im Jahr 2022. Wer solche Meldungen sieht, fragt sich schnell, ob das jeweilige Produkt wohl zu Hause im Kühlschrank liegt.
In der Regel sind zwar nur geringe Produktchargen mit bestimmten Mindesthaltbarkeitsdaten betroffen. Ein Blick auf die Zahlen des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zeigt allerdings, dass Lebensmittelrückrufe in Deutschland immer öfter vorkommen.
Im BVL-Bericht, der CHIP vorliegt, heißt es, dass die zuständigen Landesbehörden vergangenes Jahr 311 Warnmeldungen von Unternehmen auf ihrem Portal veröffentlicht haben. Das sind rund zehn Prozent mehr als im Vorjahr, als die Zahl noch bei 282 Warnungen lag.
Nach Ferrero-Rückruf: über 300 Salmonellen-Erkrankungen
Für besonderes Aufsehen sorgte im Frühjahr 2022 ein
Lebensmittelrückruf von Ferrero. In einem belgischen Werk des Süßigkeiten-Herstellers tauchte das Bakterium "Salmonella Typhimurium" auf. Also testete Ferrero Produkte in mehreren Ländern auf den Erreger.
Es stellte sich heraus: Über 119 Schoko-Artikel enthielten Salmonellen, bei 31 weiteren bestand laut EU-Gesundheitsbehörde ECDC der Verdacht auf das Bakterium. Zwar gab es in Deutschland keinen positiven Test, trotzdem rief Ferrero im April auch hierzulande alle Produkte aus dem belgischen Werk zurück. Darunter Kinder-Schoko-Bons, Überraschungseier und Oster-Artikel.
Dabei hatte der Hersteller bereits im Dezember 2021 Verunreinigungen entdeckt. Dass der große Rückruf erst im April des Folgejahres stattfand, sorgte für Kritik.
Von der BVL heißt es, dass europaweit mehr als 300 Personen an Salmonellen erkrankten. Davon 22 in Deutschland.
Wann müssen Hersteller Lebensmittel zurückrufen?
Um solche Situationen zu vermeiden, sind Hersteller gesetzlich dazu verpflichtet, regelmäßig Stichproben durchzuführen. Erfüllt ein Lebensmittel nicht die entsprechenden Sicherheitsanforderungen, muss das Unternehmen das jeweilige Produkt zurückrufen. Ist es bereits im Umlauf, müssen die Verbraucher informiert werden – auch über den Grund des Rückrufs.
Michael Lendle ist Geschäftsführer der AFC Risk & Crisis Consult, die jährlich über 400 Unternehmen aus der Ernährungsbranche zum Umgang mit Lebensmittelsicherheit berät. Im Interview mit CHIP erklärt er, wie ein Lebensmittel-Rückruf zustandekommt.
"Alle Unternehmen führen regelmäßig Eigenkontrollen durch, indem sie Proben der Rohwaren und Produkte entnehmen, um die Qualität und Sicherheit zu bewerten", sagt der Experte. "Wenn ein Produkt über eine Reklamation oder eine Beanstandung auffällig wird, dann führen Unternehmen sofort eine Kontrolluntersuchung in einem akkreditierten Labor durch. Dort wird das betreffende Produkt dann auf Kontaminationen getestet."
Laut Lendle dauert es in der Regel ein bis drei Tage, bis das Ergebnis vorliegt. Bei Gesundheitsgefahr veröffentlichen Hersteller in der Regel Pressemitteilungen. "Wir raten Unternehmen, je nach Bewertung einer gesundheitlichen Gefährdung, umgehend zumindest die Behörden zu informieren und weitere Schritte abzustimmen", sagt er.
Rückrufe schaden dem Ruf der Händler
Ein Rückruf muss bestimmte Informationen enthalten, damit Verbraucher nachvollziehen können, welches Produkt betroffen ist. Unternehmen müssen Namen, Mindesthaltbarkeitsdatum und die Chargennummer des betroffenen Artikels herausgeben. Außerdem sollte ein Farbfoto zu sehen sein.
Ferner müssen Hersteller angeben, bei welchen Händlern und Bundesländern das Lebensmittel verkauft wurde und welche Gefahr davon ausgeht. Ist es mit Fremdkörpern wie Plastik, Glas und Metall verunreinigt oder ist von einem Salmonellen-Befall auszugehen? Angegeben werden muss auch, ob und inwieweit ein Gesundheitsrisiko besteht.
Für Unternehmen ist dieser Prozess in der Regel teuer. Auf der einen Seite entstehen Kosten, die direkt mit dem Rückruf zusammenhängen. Darunter fallen zum Beispiel die Herstellungskosten für ein Produkt, das nicht mehr verkauft werden kann.
"Eine oftmals unterschätzte Konsequenz ist der Reputationsschaden. Das Misstrauen der Kunden in ein Produkt und in das Unternehmen kann einen Imageschaden bewirken, der sich dann über Wochen, wenn nicht Monate in rückläufigen Verkaufszahlen widerspiegelt", sagt Lendle.
Unsichere Produkte sollten gar nicht erst zum Verbraucher gelangen
Auch die Verbraucherzentrale NRW bestätigt gegenüber CHIP einen Anstieg der Lebensmittelrückrufe. Gründe dafür gibt es laut den Verbraucherschützern mehrere. Zum einen würden Unternehmen Rückrufen heutzutage weniger kritisch gegenüberstehen. Denn hohe Transparenz könne laut BVL sogar zu mehr Vertrauenswürdigkeit beitragen.
Zum anderen hätten sich Lebensmittelkontrollen verbessert. Dennoch betont die Verbraucherzentrale NRW, dass weiterhin unsichere Produkte auf den Markt gelangen. In einem schriftlichen Statement heißt es:
"Der Anstieg der Rückrufzahlen in den letzten Jahren unterstreicht unter anderem die Bedeutung wirksamer Eigenkontrollen und eines schnellen, zielgerichteten Krisenmanagements seitens der Lebensmittelunternehmer. Nicht sichere, zum Verzehr ungeeignete, ekelerregende oder erheblich täuschende Ware sollte erst gar nicht in die Privathaushalte von Verbraucher:innen gelangen." Der deutsche Lebensmittelmarkt sei aber dennoch sehr sicher.
Experte: "Kein Gesetz der Welt schützt uns vor schwarzen Schafen"
Auch Michael Lendle rät, aus den steigenden Zahlen keine falschen Schlüsse zu ziehen: "Es treten vermehrt Marktentnahmen auf, weil die Unternehmen ihre Produkte heute deutlich intensiver und weitreichender analysieren als früher. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass wir mehr unsichere Produkte haben, sondern wir finden einfach häufiger Abweichungen und Verunreinigungen."
Klar ist am Ende aber, dass Lebensmittel-Skandale Verbraucher verunsichern. Die Firma Bayern-Ei geriet 2015 etwa in die Schlagzeilen, weil durch mit Salmonellen belastete Eier über 180 Menschen erkrankten und eine Person starb.
Im Prozess stellte sich heraus, dass erhebliche Hygienemängel bestanden und der Geschäftsführer wissentlich die mit Salmonellen belasteten Eier verkauft hatte. Brauchen wir bessere Gesetze, um solche Situationen besser vermeiden zu können?
Berater Lendle hält dagegen: "Es gibt Extrembeispiele, bei denen Unternehmen sich nicht an rechtliche Vorgaben halten. Da fragt sich die Öffentlichkeit natürlich schon, ob die Gesetze ausreichen. Aber kein Gesetz der Welt schützt uns vor schwarzen Schafen."
Lebensmittel-Rückruf: Was können Verbraucher tun?
Regelungen zur Lebensmittelsicherheit finden sich zum Beispiel in der Basisverordnung der EU oder im deutschen Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch. Lendle sagt klar: "Für die Warnung der Verbraucher vor gesundheitsgefährdenden Produkten reicht die Gesetzgebung bei vernünftiger Anwendung aus."
Wer sich genauer informieren möchte, kann das über das Portal
lebensmittelwarnung.de tun. Auf der Seite sind neben Lebensmittel-Rückrufen auch solche für Kosmetik, Mittel zum Tätowieren und andere Bedarfsgegenstände wie Modeschmuck oder Geschirr zu finden.
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