GEHT'S NUR MIR SO?: WARUM ICH NICHT NACH MEINEM ALTER GEFRAGT WERDEN MöCHTE

Viele Menschen haben Themen, über die sie ungerne sprechen. Oder Dinge, die sie Überwindung kosten, von sich preiszugeben. Welche das bei unserer Autorin sind, verrät sie hier. 

Wenn ich mir zwei Fragen aussuchen dürfte, die mir nie wieder jemand stellt, würde ich mich für "Was hast du dieses Wochenende geplant?" und "Wie alt bist du?" entscheiden. 

Die erste Frage irritiert mich in der Regel, weil ich an den meisten Wochenenden nichts geplant habe und damit eines meiner grundlegenden Lebensziele als erreicht betrachte. Fragt mich allerdings jemand nach meinen Wochenendplänen, frage ich mich, ob ich vielleicht welche haben sollte und ob mit meinem Lebenskonzept etwas nicht stimmt. Normalerweise währt diese Irritation nur kurz und verfliegt spätestens, sobald ich mich per wirklich gekonntem Köpper in mein unverplantes Wochenende stürze. Doch ich hätte nichts dagegen, bis ans Ende meiner Zeit auf diese Irritation und Frage zu verzichten.

Ich weiß gar nicht, wie alt ich bin

Meine zweite Horrorfrage gibt mir ein größeres Rätsel auf: "Wie alt bist du?" Das letzte Mal stellte sie mir ein junger Mann, frühe Zwanziger, um circa ein Uhr nachts in einer Bar. Mein Cousin und ich saßen in einer Sofaecke und waren mit dem Mann ins Gespräch gekommen, nachdem sein Kumpel neben ihm auf dem Sofa in einen spontanen Tiefschlaf gefallen war. Er fragte uns also, wie alt wir seien, woraufhin ich schweigend meine Sitzposition wechselte, während mein Cousin antwortete: "Langsam beide in einem Alter, in dem wir nicht mehr gerne über Zahlen sprechen." Seine Antwort vergewisserte mich wieder einmal meines Gefühls, das ich für ihn empfinde: Tiefe Verwandtschaft. Doch ich muss ehrlich gestehen, dass ich keine Ahnung habe, warum es für mich ein Problem darstellt, einem jungen Mann in einer Bar mein Alter zu nennen. Oder sonst irgendjemandem in sonst welchem Kontext.

Gut: Da ist rein praktisch das Problem, dass ich in der Regel gar nicht weiß, wie alt ich bin. Ich muss es immer über mein Geburtsjahr errechnen, wobei ich zu bedenken habe, dass ich am Jahresende geboren bin, was die Rechnung verkompliziert. Allerdings mag ich es zu rechnen, in der Schule war ich Eckenrechnen-Champ und in der Oberstufe hatte ich sogar Mathe-LK (und habe trotzdem mein Abi geschafft). Mein Problem liegt ganz klar am Ergebnis, in diesem Fall der Differenz: meinem Alter. Ich verspüre eine Abneigung dagegen, mein Alter zu nennen, zu kennen oder mich in sonstiger Weise damit zu befassen. Dabei finde ich es prinzipiell nicht schlimm oder problematisch, dass ich älter werde. Ich bevorzuge sogar mein heutiges, älteres Ich gegenüber meinem jüngeren.

Altern gilt als uncool – aber ich finde es eigentlich ganz nice

Zum Beispiel mag ich, dass ich heute gemütlich auf der Couch sitzen und lesen kann und nicht ständig in Bewegung sein muss, weil ich mich sonst unruhig fühle. Ich mag, dass ich keine Angst mehr davor habe, mir könnte irgendetwas passieren, womit ich nicht zurechtkomme. Ich mag, dass ich weniger Ausrufezeichen benutze, meine Prioritäten und Bedürfnisse besser kenne und verstehe und dass ich nicht ständig das Gefühl habe, falsch und verirrt zu sein. Abgesehen von meiner leichten Zornesfalte mag ich sogar meine Falten, besonders die zu den Schläfen hin. Wenn sie mir auffallen, denke ich an all die sonnigen Tage in meinem Leben. Seit ich ungefähr die 30 passiert habe, mag ich nur das numerische Label nicht, das mit all dem einhergeht.

Vielleicht liegt es daran, dass ich von dem sozialen Umfeld beeinflusst bin, in dem ich lebe. Meine Mutter färbt sich seit 30 oder 40 Jahren jeden Monat die Haare. Meine älteren Schwestern haben weniger Falten als ich – zumindest zum Teil, weil sie dafür bezahlt haben. In der Öffentlichkeit gilt es als unhöflich, Frauen nach ihrem Alter zu fragen. Und in einschlägigen Urlaubsorten laden die Promo-Leute der Nachtclubs am Strand allenfalls Frauen bis 25 zu ihren Partys ein. Solche Dinge suggerieren mir, dass es nicht cool ist, älter zu werden, schon gar nicht für mich als Frau. Dass ich mich dafür schämen und es möglichst sogar verbergen muss. 

Der Haken an dieser Stelle ist allerdings: Ich bin aufrichtig froh, wenn mich die Promo-Leute am Strand in Ruhe lesen lassen. Ich finde die Frage nach dem Alter eines Menschen nicht unhöflich, sondern in den meisten Kontexten uninteressant. Und ich würde mein Geld eher sparen, um noch mehr Tage in sonnigen Regionen zu verbringen und mir ein paar zusätzliche Falten zuzulegen, als es für Haarfärbungen oder Botox auszugeben. Ich bin sicher in sehr vielerlei Hinsicht von meinem sozialen Umfeld geprägt und beeinflusst. Doch ich bin nicht sicher, ob in dieser. Mein Gefühl sagt mir, dass ich noch andere, mir wichtigere Gründe habe, mein Alter nicht wissen zu wollen. Ich komme aber nicht dahinter, welche das sein könnten. 

Wovor habe ich Angst?

Angst oder das Gefühl, dass mir Zeit und Möglichkeiten davonlaufen, verspüre ich jedenfalls nicht. Meinetwegen habe ich jetzt schon genug erlebt. Ich bleibe gerne noch da, aber wenn die Party zu Ende ist, bin ich jederzeit bereit zu gehen. Ich hätte die Einladung, ehrlich gesagt, sowieso nicht angenommen, wäre ich gefragt worden – so gut mir die Musik, die Gäste und die Location auch gefallen. 

Andererseits verspüre ich durchaus eine Angst, dass die Party länger für mich dauert, als ich möchte. Dass ich mehr Zeit habe, als ich bewältigen kann. Und dass ich irgendwann in ein Alter komme, auf das ich mich hätte vorbereiten müssen, es aber nicht getan habe. Während ich zufrieden und ausgelastet damit bin, mein Leben heute, morgen und die nächsten paar Monate zu führen und zu lieben, sorgen andere Menschen für ihren Ruhestand vor und verplanen ihre freie Rentenzeit. Das stresst mich tausendmal mehr als meine sich anbahnende Zornesfalte. Aber ob das nun mein Problem mit der Altersfrage ist? Bedingt vielleicht schon.

Was bedeutet welches Alter?

Wenn mich ein Mensch nach meinem Alter fragt, habe ich ein bisschen das Gefühl, als frage die Person, wie spät es ist. Als wäre mein Leben ein Tag und mein Alter eine Stunde, die mir gerade tickt. Um 8 Uhr soll ich wissen, was ich bis 16 Uhr machen möchte, und spätestens um 13 Uhr muss das Gemüse für das Abendessen in die Brühe, damit es durchziehen kann und schmeckt. Ansonsten gibt es faden Eintopf. Für mich stimmt an diesem Bild aber einfach nichts. Ich wusste um 10 Uhr noch nicht, was ich bis mittags machen wollte, und ob mir am Abend überhaupt nach Essen zumute ist, darüber vorher nachdenken zu müssen, verdirbt mir den Appetit. Für mich ist das okay, beziehungsweise richtig, weil es funktioniert. Mein Leben ist für mich keine Zeitspanne, die sich in Abschnitte unterteilen lässt, die, in eine Zahl gepresst, irgendeine Aussagekraft haben könnten. Ich möchte mein Leben nicht in Jahren messen oder denken. Zumindest möchte ich das heute nicht, in diesem Alter, in dem ich gerade bin. Und dieses Wunsches oder Bedürfnisses bin ich mir so gewiss, dass ich dafür – für mich – keine von meinem Stirnlappen abgesegnete Erklärung brauche.

Um die eingangs gestellte Frage nach meinem Problem mit der Altersfrage trotzdem halbwegs zu beantworten: Im Moment weiß ich nicht, was mir mein Alter sagen soll und was es bedeutet, und mich damit zu beschäftigen, löst in mir in erster Linie Stressgefühle aus. Deshalb, glaube ich, mag ich nicht danach gefragt werden. Vielleicht sieht es um 17 Uhr schon wieder anders aus. Vielleicht bin ich dann ein bisschen weiter. Vielleicht ist es kein Zufall, dass ich außerdem nicht nach meinen Wochenendplänen gefragt werden mag. Und vielleicht ist es alles viel einfacher und ich bin doch vor allem von dem sozialen Umfeld beeinflusst, in dem ich lebe. Mit Sicherheit weiß ich zu diesem Zeitpunkt nur eins: Ich möchte und werde für niemanden auf Kommando anfangen zu subtrahieren.

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